Zum Inhalt springen
Haben Sie eine geheime Leidenschaft neben dem Steuerrecht, Adriano Marantelli?

Haben Sie eine geheime Leidenschaft neben dem Steuerrecht, Adriano Marantelli?

Adriano Marantelli beantwortet im Rendez-vous unsere – nicht unbedingt fachspezifischen – Fragen.

Erschienen in folgender Publikation:

Haben Sie eine geheime Leidenschaft neben dem Steuerrecht, Adriano Marantelli?
Ausgabe
Seite(n)
582–584

Name: Adriano Marantelli

Beruf/Position: Professor für Steuerrecht an der Universität Bern

Familie: verheiratet mit Vera Marantelli

Hobbys: Reisen, Lesen, und die im Text genannten

Haben Sie ein Lebensmotto?

«Fortiter in re suaviter in modo.» («Beharrlich in der Sache, mild in der Methode» – oder frei übersetzt: «Grundsätze ja, aber mit Augenmass».)

Denn das Umgekehrte, nämlich «suaviter in re fortiter in modo», kommt in der Regel nicht gut heraus. Das zeigte schon die französische Revolution vor rund 230 Jahren, als der damalige Pariser Machthaber, Maximilien Robespierre, versucht hat, den Franzosen die Errungenschaften von «Liberté/Égalité/Fraternité» mittels Guillotine näherzubringen.

Haben Sie eine geheime Leidenschaft neben dem Steuerrecht?

Im Sinne einer «harmlosen Leidenschaft» interessiere ich mich sehr für Geschichte und historische Zusammenhänge. Wenn man unsere Bibliothek zuhause ansieht, könnte man meinen, Geschichte sei mein Beruf und Steuerrecht mein Hobby. Wenn man dann aber die Büchergestelle in meinem Unibüro betrachtet, sieht man doch sehr schnell, dass es trotz allem gerade umgekehrt ist. Ferner sammle ich Porzellan und Krawatten. Letzteres ist auch der Grund, weshalb ich trotz des momentan eher «krawattophoben» Zeitgeistes oftmals – selbst an der Uni – eine Krawatte trage. Ein kleiner Farbtupfer an grauen, nebligen Tagen, wie wir sie in unseren Breitengraden manchmal haben, kann ja nie schaden.

Was war Ihr Berufswunsch als Kind – und warum ist nichts daraus geworden?

  • Architekt (leider kann ich zu wenig gut zeichnen, was meine Studenten wohl bestätigen würden, wenn sie manche meiner Folien sehen) oder
  • Dirigent eines klassischen Symphonieorchesters (bereits meine mediokren Klavierklimperkünste liessen allerdings erahnen, dass ich wohl eher für den Triangel im Orchestergraben als für das Dirigentenpodium geeignet gewesen wäre).

Was bringt Sie auf die Palme?

Dreiseitige Fachaufsätze mit vier Autorenbildchen; kurz vor Studienende verfasste studentische Masterarbeiten, bei denen das Literaturverzeichnis alphabetisch nach Vornamen geordnet ist, und schliesslich das Wort «unbehelflich» in Bundesgerichtsurteilen, mit dem mitunter auch valable Argumente abgetan werden. Für mich ist die genannte Vokabel Kandidatin für das juristische «Unwort» des Jahres. Das Prädikat «unbehelflich» wäre wohl nur jeweils dann angebracht, wenn die Beschwerdeführer/-innen beim Abfassen ihrer Rechtsschrift den Ratschlag Mark Twains nicht beachtet hätten, wonach man die Tatsachen kennen muss, bevor man sie verdrehen kann.

Wo liegt Ihr Sehnsuchtsziel?

Meine Frau und ich haben zwei Lieblingsstädte, nämlich Venedig und Wien. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir uns diese beiden Wünsche – oder eben Sehnsuchtsziele – auch immer wieder erfüllen können.

Welche Bücher lesen Sie gerade?

Nachdem ich kürzlich in Frankreich war und in unserem Nachbarland jeweils auch gerne in Buchhandlungen herumstöbere, sind es im Moment unter anderem zwei französischsprachige Bücher, die sich – nachdem ich, wie oben erwähnt, historisch interessiert bin – entsprechend mit Geschichte resp. Politik beschäftigen (Sébastien Le Fol, «Les lieux du pouvoir, une histoire secrète et intime de la politique», sowie Hubert Védrine, «Grands Diplomates, Les maîtres des relations internationales de Mazarin à nos jours»). Daneben lese ich im Moment noch den neuen Roman von Bodo Kirchhoff («Seit er sein Leben mit einem Tier teilt»). Das Buch von Pierre Bayard mit dem Titel «Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat» habe ich allerdings nicht beendet, da es bis in die Hälfte keine Anleitung enthielt, wie man über Fachliteratur sprechen kann, die man nicht gelesen hat.

Gibt es etwas, das Sie extrem nervt in der Jurisprudenz oder im Steuerrecht?

In der Jurisprudenz allgemein: Richterinnen und Richter, die Rechtsprechung nicht als Rechtsfindung auffassen, sondern als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.Im Steuerrecht im Besonderen: Der Souveränitätsverlust von Kleinstaaten im internationalen Steuerrecht gegenüber Organisationen wie der OECD oder Staatengruppen wie der G20 (etwas weniger vornehm-professoral ausgedrückt könnte man auch von deren Steuerdiktat sprechen). Hier befürchte ich allerdings, dass sich in der näheren Zukunft nichts ändern lässt und man somit bloss in den Refrain des Gesangslehrers Alfred im ersten Akt von Johann Strauss’ Operette «Die Fledermaus» einstimmen kann: «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist».

Glauben Sie an eine höhere Macht?

Ja, wobei ich andernfalls auf Voltaire verweisen würde, der gesagt hat: «Si Dieu n’existait pas, il faudrait l’inventer.» Wenn man allerdings das Treiben auf unserem Globus betrachtet, kann ich auch nachvollziehen, wenn Leute zu einem anderen Schluss kommen. Ferner ist der Beweis für das «Ja» zugegebenermassen schwierig bis unmöglich. Am besten stützt man sich vielleicht auf Sekundärquellen, die da sein könnten: Dantes Göttliche Komödie, Michelangelos Sixtinische Kapelle oder schliesslich Beethovens 9. Symphonie. Und am Ende bleibt immerhin noch die etwas plakative Gegenfrage «Was war vor dem Urknall?» oder die – freilich umstrittene – sog. «Pascal’sche Wette», womit auch noch ein weiterer französischer Denker zu Ehren gekommen wäre.

Welchen Rat würden Sie Ihrem Nachfolger/Ihrer Nachfolgerin geben?

An sich bin ich von meinem Naturell her – so zumindest meine Selbsteinschätzung – nicht unbedingt eine Person, die einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin schulterklopfende Ratschläge erteilt. Ich halte es hier eher mit Friedrich II (auch etwa «der Grosse» oder «alter Fritz» genannt), dem bekannten Preussenkönig, der in seinem Tagebuch (17. Dezember 1763) offenbar einmal Folgendes festgehalten hat: «Es ist dem Geiste des Menschen eigen, dass Beispiele Niemand bessern: die Thorheiten [sic] der Väter sind für ihre Kinder verloren; jede Generation muss ihre eigenen begehen».

Wenn ich somit trotzdem für einmal meinem oben erwähnten Grundsatz untreu werden möchte, dann würde ich einem Nachfolger/einer Nachfolgerin auf dem Berner Lehrstuhl raten, steuerliche Dogmatik nicht mit Ideologie zu verwechseln und bei aller Dogmatik den gesunden Menschenverstand nicht ganz zu vergessen.

Haben Sie schon einmal so richtig Glück gehabt? Was ist passiert?

Als ich im Januar dieses Jahres beim Sightseeing in Rom derart unglücklich gestürzt bin, dass ich mehrfach die Nase gebrochen habe und mit Blaulicht ins Ospedale San Camillo gefahren werden musste, wo es sich in der Notfallaufnahme dann glücklicherweise erwiesen hat, dass alles äusserlich schlimmer aussah, als es eigentlich war.

Was macht Ihnen Angst?

Dass ein uneiniges Europa wirtschaftlich, technisch und damit auch politisch weiter an Einfluss verliert und im globalen Ringkampf zunehmend zum blossen Spielball fremder Interessen wird. Ferner die sich verstärkende politische Polarisierung und die damit verbundene Schwächung der liberalen Demokratie westlicher Prägung.