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Steuerlicher Wegzug in die Schweiz vor dem EuGH

Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg teilt die Zweifel, die wir schon länger geäussert haben: Die im Zeitpunkt des Wegzugs von Deutschland in die Schweiz eintretende sog. Wegzugsbesteuerung begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken. Denn das zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen (FZA) bietet ein ähnliches Schutzniveau wie das Gemeinschaftsrecht: neben einem ebenfalls verankerten Diskriminierungsverbot sind nach zutreffender Auffassung des Finanzgerichts auch die in dem FZA niedergelegten Freizügigkeitsrechte mit den EU-Bestimmungen des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) vergleichbar. Die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wäre daher auch im Verhältnis EU (damit Deutschland) – Schweiz zu übertragen. Der EuGH wurde zwecks Klärung angerufen (Az. C-581/17).

Wegzugsbesteuerung im Allgemeinen

Der Wegzug aus Deutschland kann für Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft sehr teuer werden: Natürliche Personen, die mindestens 1 % an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt sind (mittelbar oder unmittelbar), müssen im Grundsatz im Zeitpunkt des Wegzugs den Wertzuwachs seit Erwerb ihrer Beteiligung versteuern. Betroffen sind dabei die im Privatvermögen gehaltene Anteile. Wichtig: Die Beteiligung gilt als veräussert (Fiktion!) – Ein Liquiditätszufluss erfolgt zwar nicht, die Steuerlast entsteht dennoch.

Der fiktive Veräusserungsgewinn ist unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens mit dem persönlichen Steuersatz zu versteuern. Pikant ist, dass eventuelle fiktive Veräusserungsverluste nicht mit steuerpflichtigen Einnahmen verrechnet werden können. Dies hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 26.4.2017 (Az. I R 27/15) erst kürzlich entschieden.

Wegzug in ein EU/EWR-Land

Der EuGH hatte bereits vor vielen Jahren in der Rechtssache Lasteyrie du Saillant über einen Fall der französischen Wegzugssteuer zu entscheiden. Demnach war die Besteuerung in einem Wegzugsfall zwar im Grundsatz legitim. Die sofortige Einziehung der Steuer sei jedoch eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (EuGH vom 11.03.2004 – Rs. C-9/02), wenn der Wegzug in einen EU/EWR-Staat erfolgt. Daraufhin ergänzte auch der deutsche Gesetzgeber seine Wegzugsbesteuerung, um sie EU-Recht kompatibel zu gestalten. Hiernach wird die „Wegzugssteuer“ im Fall des Wegzugs in einen EU/EWR-Staat voraussetzungslos gestundet. Die Stundung erfolgt nach aktueller Rechtslage grundsätzlich unbefristet, ohne dass eine Sicherheitsleistung zu leisten ist. Zinsen – z.B. bei späterer tatsächlicher Veräusserung – sind ebenfalls nicht zu leisten. Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sind zu beachten.

Wegzug in die Schweiz

Die Schweiz als Drittstaat fällt – zumindest nach bisheriger Rechtslage – nicht unter die vorstehende Begünstigungsregelung. Das Gesetz sieht hier stattdessen für den Regelfall die sofortige Erhebung der Steuer auf den fiktiven Veräußerungsgewinn vor. Vollkommen unberücksichtigt bleibt insofern also bisher, dass das FZA im Hinblick auf die Freizügigkeit der Schweiz steuerlich ein dem EU-Recht ähnliches Schutzniveau bietet. Die Folge davon war in jüngster Vergangenheit, dass der steuerliche Wegzug in die Schweiz in der Fachliteratur heftig diskutiert wurde. Vom BFH konnte diese Rechtsfrage in seinem Urteil vom 25.8.2009 (Az. I R 88, 89/07) noch offen gelassen werden, da der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt in der Zeit vor Inkrafttreten des FZA verwirklicht wurde; dies ist im jetzt relevanten Fall nicht mehr gegeben.

Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg

Das Finanzgericht Baden-Württemberg hatte diese Frage nunmehr jedoch zu entscheiden (14.6.2017, Az. 2 K 2413/15) und hat sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Finanzgericht selbst geht davon aus, dass das FZA mit den im AEUV garantierten Freizügigkeitsrechten vergleichbar ist (FG Baden-Württemberg vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 97). Auch enthalte sowohl der AEUV in Art. 18 als auch das FZA in Art. 2 ein Diskriminierungsverbot. Das FZA bleibe damit im Ergebnis weder quantitativ noch qualitativ hinter den Regelungen des AEUV zurück (FG Baden-Württemberg vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 101). Zudem sei die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten grundsätzlich auf die im FZA normierten Freizügigkeitsrechte im Verhältnis zur Schweiz übertragbar (FG Baden-Württemberg vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 103). Ob ein Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung der Rechte aus dem FZA vorliegt, ist für das Finanzgericht zweifelhaft.

Unser Fazit

Wir begrüssen diesen Schritt des Finanzgerichts. So vertreten wir schon seit geraumer Zeit die Auffassung, dass die Regelung des § 6 AStG eine Verletzung der in den Bilateralen Verträgen niedergelegten Freiheiten darstellt und haben bereits in der Vergangenheit in dieser Weise beraten. Bei Wegzugsfällen in die Schweiz sind entsprechende Einkommensteuerbescheide daher künftig unbedingt verfahrensrechtlich offen zu halten.