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Rezension: BV-Kommentar

Ehrenzeller / Egli / Hettich / Hongler / Schindler / Schmid / Schweizer (Hrsg.): Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar. Rezension von Stefan Oesterhelt

Ehrenzeller / Egli / Hettich / Hongler / Schindler / Schmid / Schweizer (Hrsg.)

Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar

2023, (2. Aufl.), 4756 Seiten

CHF 568.–

Dike / Schulthess

Zürich / St. Gallen

Bestellung bei cosmosverlag.ch

Während der Basler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung immer noch auf eine zweite Auflage wartet, ist der St. Galler Kommentar nun bereits in vierter Auflage erschienen. Doch nicht nur bezüglich Erscheinungshäufigkeit, sondern auch hinsichtlich Umfang lässt er den Basler Kommentar weit hinter sich. Was im Jahr 2002 als einbändiges Werk begonnen wurde, ist mittlerweile auf stolze 4756 Seiten angewachsen. Bereits seit der zweiten Auflage wurde daher eine Aufteilung auf zwei Bände notwendig.

Die Bezeichnung als «St. Galler Kommentar», die dieser seit der zweiten Auflage trägt, weist auf die ursprüngliche Domizilierung des Verlags hin.1Da der Dike Verlag aber mittlerweile vorrangig in Zürich ansässig ist und der Kommentar zudem eine Ko-Produktion mit dem in Zürich ansässigen Schulthess Verlag ist. ist,2 ist diese Bezeichnung in erster Linie noch historisch bedingt.3 Geblieben ist aber der (für schweizerische Kommentare eher unübliche4) Umstand, dass sich die Herausgeberschaft seit jeher ausschliesslich aus Mitgliedern der juristischen Fakultät der Universität St. Gallen zusammensetzt. Von der «Gründergeneration» sind nur noch Bernhard Ehrenzeller und Rainer Schweizer übrig geblieben, Patricia Egli, Peter Hettich, Benjamin Schindler und Stefan Schmid ergänzen die Herausgeber­schaft. Bei den rund neunzig Autoren wurden dagegen vereinzelt auch solche von anderen Fakultäten bzw. Landesteilen berücksichtigt.

Aus steuerrechtlicher Sicht hervorzuheben ist, dass mit Peter Hongler neu auch der Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht an der Universität St. Gallen Mitherausgeber ist. Dadurch wird der Stellung des Steuerrechts als Teil des öffentlichen Rechts Nachachtung verliehen. Besondere Bedeutung für das Steuerrecht haben die in Art. 127 bis 133 BV enthaltenen Regeln zur Finanzordnung. Die vorliegende Rezension konzentriert sich daher auf diese für das schweizerische Steuerrecht zentralen Bestimmungen.

Mitherausgeber Peter Hongler hat mit Art. 127 BV auch die Kommentierung der wichtigsten steuerrecht­lichen Bestimmung der Bundesverfassung übernommen. Dabei handelt es sich um eine vollständige Neufassung der Kommentierung, welche in der vor knapp zehn Jahren erschienenen dritten Auflage noch von Klaus Vallender und René Wiederkehr bearbeitet wurde. Neben dem Legalitätsprinzip (Art. 127 Abs. 1 BV) und dem Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 BV) sind in Art. 127 Abs. 2 BV auch die Besteuerungsgrundsätze und somit auch der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verankert. Da mit Peter Hongler der wohl schärfste Kritiker5 des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Schweiz diese zentrale Bestimmung kommentiert, weht diesem Grundsatz seit der vierten Auflage nun deutlich mehr Gegenwind als in den Vorauflagen oder im Basler Kommentar6 entgegen. Dabei geht die Kommentierung weit über die blosse Darstellung der hierzu ergangenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinaus und enthält zahlreiche neue Denkansätze. So wird etwa die Frage in den Raum gestellt, ob es nicht etwa gerecht (und mit Art. 127 BV vereinbar) wäre, wenn ein Steuerberater eine höhere Steuerbelastung erfahren würde als eine Kinderärztin mit gleichem Einkommen, da letztere eine wichtigere (moralische) Tätigkeit ausübe. Durch eine solche Interpretation von Art. 127 BV wird der Grundsatz der Wertneutralität, der nach überwiegendem Verständnis dem Leistungsfähigkeitsprinzips zu Grunde liegt,7 ernsthaft herausgefordert. Unter Berufung auf das Lambert’s Conundrum wird sodann aufgezeigt, dass ein degressiver Steuersatz die existierenden Ungleichheiten in der Gesellschaft eher verringert als ein proportionaler oder ein linearer Steuersatz. Neben Art. 127 BV kommentierte Peter Hongler auch die deutlich weniger brisanten Art. 85a BV (Abgabe für die Benützung der Nationalstrassen) sowie Art. 132 (Kompetenz zur Erhebung von Stempelabgaben und Verrechnungssteuer).

Für die Kommentierung von Art. 128 BV (Kompetenz zur Erhebung der direkten Steuern) sowie Art. 134 BV (Ausschluss kantonaler und kommunaler Besteuerung) zeichnen nach wie vor Vallender/Cavelti verantwortlich. Dennoch blieb nicht alles beim Alten, fand doch mit Bezug auf den Ko-Autor ein Wechsel vom (mittlerweile verstorbenen) Ulrich Cavelti zu dessen Sohn Luzius Cavelti statt. Auch inhaltlich wurden teilweise neue Aspekte betont. So wird etwa das Problem der Inländerdiskriminierung hervorgehoben, da sich im Inland ansässige Personen bzw. Personen mit schweizerischer Staatsangehörigkeit nicht auf die Diskriminierungsverbote gemäss OECD-MA bzw. FZA berufen können und wegen dem Anwendungsgebot von Art. 190 BV die Berufung auf Art. 8 und 127 BV mit Bezug auf Bestimmungen des Bundesrechts scheitert. Diese Ungleichbehandlung wird von den Autoren als stossend bezeichnet und der Gesetzgeber dazu aufgefordert, «hier für gleiche Möglichkeiten [zu] sorgen», ohne aber näher darauf einzugehen, welche Bestimmungen konkret zu ändern wären. Da eine Abschaffung von Art. 190 BV für die Autoren wohl ausser Frage stehen dürfte, können damit wohl nur Änderungen im materiellen Steuerrecht gemeint sein.8

Für die bisher von Urs Behnisch verfasste Kommentierung der Kompetenznorm zur Steuerharmonisierung (Art. 129 BV) zeichnet dieser neu in Ko-Autorschaft mit Luzius Cavelti verantwortlich. Letzterer hat auch die bisher von Urs Behnisch verfasste Kommentierung zu Art. 131 BV (Besondere Verbrauchssteuern) übernommen. Mit Bezug auf die (im Hinblick auf die Einführung der globalen Mindeststeuer) hier und da diskutierte Möglichkeit der Einführung flexibler kantonaler Gewinnsteuersätze erblicken die Autoren einen Verstoss gegen Art. 129 Abs. 3 BV. Nun gibt es m. E. durchaus berechtigte Zweifel, dass flexible Gewinnsteuersätze (trotz der in Art. 129 Abs. 2 BV vorgesehenen Tarifautonomie der Kantone) gegen die harmonisierungsrechtlichen Vorgaben des Bundes verstossen. Ein Verstoss gegen Art. 129 Abs. 3 BV, welcher lediglich dem Bund die Kompetenz zum Erlass von Vorschriften gegen ungerechtfertigte steuerliche Vergünstigungen verschafft, ist aber nur schwer zu begründen.9

Die bisher von Klaus Vallender verfasste Kommentierung der Kompetenznormen von Art. 130 BV (Mehrwertsteuer) sowie Art. 133 BV (Zölle) wird neu von Ralf Imstepf und Michael Beusch verfasst. Da somit der Leiter der Rechtsabteilung der Hauptabteilung Mehrwertsteuer der ESTV sowie der für die bundesgerichtliche Beurteilung allfälliger Streitfragen zuständige Bundesrichter als Autoren zeichnen, ist für eine praxisnahe Kommentierung gesorgt.

Auch in der vierten Auflage ist der St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung weiterhin das Werk, an dem sich die übrigen Kommentierungen zur (neuen) Bundesverfassung messen müssen. Dies gilt auch für die Kommentierungen der Bestimmungen zur Finanzordnung. Die Neuauflage steht auch im Zeichen eines Generationenwechsels, welcher zu zahlreichen personellen Neubesetzungen geführt hat. Dabei wurde aber in der Regel für Kontinuität gesorgt, in dem der bisherige Autor weiterhin als Ko-Autor eingebunden blieb oder gar eine familieninterne Nachfolge erfolgte. Bei der Kommentierung des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ging mit dem Autorenwechsel hingegen ein eigentlicher Paradigmenwechsel einher. Somit ist der Kauf der vierten Auflage des St. Galler Kommentars zur Bundesverfassung auch Besitzern der dritten Auflage ohne Vorbehalt empfohlen.

Fussnoten

Der Standardkommentar zur alten Bundesverfassung, der von Jean-François Aubert et al. als Loseblattausgabe herausgegeben wurde, war dagegen noch ein Gemeinschaftswerk der drei traditionellen juristischen Verlage Helbing Lichtenhahn aus Basel, Schulthess aus Zürich und Stämpfli aus Bern und konnte somit nicht einem Verlagsort zugeordnet werden.

Als bibliographische Angabe wird für den St. Galler Kommentar denn auch «Zürich/St. Gallen» (Dike) bzw. «Zürich/Genf» (Schulthess) angegeben.

Was durchaus nicht unüblich ist. So ist beispielsweise der «Leipziger Kommentar» zum deutschen StGB seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in Leipzig erschienen.

Bemerkenswerterweise ist eine solche Verankerung an einer einzigen Fakultät auch beim «Basler Kommentar» zur Bundesverfassung auszumachen, welcher von drei Professoren der Universität Fribourg herausgegeben wird.

Vgl. etwa Peter Hongler, Das Leistungsfähigkeitsprinzip – eine moralische Illusion, Jusletter vom 4.11.2019; Peter Hongler, Die Besteuerung von Glück, FStR 2021, 330 ff.; kritisch hierzu Patrick Waldburger, Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – Steuergerechtigkeit als Illusionsfalle, ASA 91 (2023/2024), 647 ff.

Dort wird Art. 127 BV von Urs Behnisch kommentiert.

Vgl. hierzu Andrea Opel, Ist Besteuerung von Unrecht rechtens? Zum Grundsatz der sogenannten Wertneutralität im Steuerrecht im Lichte aktueller Entwicklungen, ASA 84 (2015/2016), 187 ff.

Denkbar wäre etwa eine Abschaffung des (nur Ausländer offenstehenden) Systems der Pauschalbesteuerung oder die Einführung eines Quellensteuersystems für Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft.

Vgl. auch Opel/Hongler, Flexible Gewinnsteuersätze, StR 2020, 254 ff., 260 ff.

S