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Wo liegt Ihr Sehnsuchtsort, Urs Behnisch?

Urs Behnisch stellt sich im Rendez-vous unseren – nicht ausschliesslich fachspezifischen – Fragen.

Name: Urs R. Behnisch

Beruf/Position: Fürsprecher, Dr. iur., Honorarprofessor für Steuer- und Wirtschaftsrecht der Universität Bern, emeritierter Ordinarius für Steuerrecht an der Universität Basel

Familie: Ehefrau Barbara Reber Behnisch; zwei Töchter: Livia und Fiona Behnisch

Warum wurden Sie Jurist?

Anwalt wurde ich, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Dasselbe gilt für die wissenschaftliche Laufbahn. Einige wenige Erfolge glaube ich erzielt zu haben, auch wenn die meisten Anliegen, Vorschläge und Beschwerden auf taube Ohren stiessen, mindestens vorläufig … die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt!

Werden Sie auf der Strasse erkannt?

Nein, zum Glück nicht; prominent ist man ja als Jurist nicht. Ab und zu wird man von früheren Studierenden auf der Strasse oder im Zug angesprochen. Darauf folgen immer interessante, bereichernde Gespräche.

Sie leben mit Ihrer Familie in Solothurn. Warum?

Meine Gattin stammt aus Solothurn. Wir haben ein Haus im Mittelland mit guten Zugverbindungen nach Zürich und Bern gesucht und sind vor knapp fünfundzwanzig Jahren in Solothurn fündig geworden. Nun arbeiten wir zusammen in unserer Kanzlei am Wohnsitz in Solothurn.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Als Anwalt und Wissenschafter ja: Ich kämpfe, also bin ich.

Was war Ihr Berufswunsch als Kind – und warum ist nichts daraus geworden?

Radio- und TV-Elektriker (so hiess das damals) hätte mich interessiert, die Verbindung von Technik, Kommunikation und gesendetem Inhalt, vor allem (klassischer) Musik. Mit dem Weg in die Mittelschule standen abstraktere Themen im Vordergrund. Geblieben ist das Interesse an der Technik, mittlerweile einer (leider etwas dominanten) High-End-Anlage zur Wiedergabe von (vor allem) klassischer Musik.

Wie kommen Sie zur Ruhe?

Mit dem Alter wurde ich generell etwas ruhiger, entspannen kann ich beim Musikhören oder beim Lesen eines interessanten (Geschichte, Literatur) oder gediegenen (Kunstgeschichte) Buches. Es entführt einen in eine andere Sphäre, öffnet neue Welten und relativiert Alltagssorgen.

Sie leben zusammen mit Ihrer Frau und Ihren zwei Töchtern im Teenager-Alter. Bleibt da genug Zeit und Ruhe für kontemplative Tätigkeiten – und kommen Sie überhaupt zu Wort?

Zu Wort komme ich gut, aber mein Durchsetzungsvermögen lässt öfters zu wünschen übrig … Es ist wie in der Juristerei: Logische Argumente setzen sich nicht zwingend durch! Zeit und Ruhe finde ich abends und an Wochenenden, mittlerweile dank Reduktion des Pensums auch häufiger während des Tages.

Erzählen Sie uns aus Ihren weniger ruhigen Jugendjahren?

Die Jugendjahre waren geprägt durch den Kampf an den Schulen, denn die Mittelschule war aufgrund der mässigen Vorbereitung in der ländlichen Sekundarschule während der ersten zwei Jahre eine Herausforderung, – dies auch aufgrund von Lehrern, die fehlende pädagogische Kenntnisse durch Erniedrigung der Schüler kompensierten, und überheblichen Mitschülern, die «Landeier» nicht als mittelschulwürdig betrachteten. Aufleben konnte ich an der Uni Bern und im damaligen Anwaltspraktikum während des Studiums, das – ohne Lizentiat bzw. heutigem Masterstudium – direkt zum Fürsprecherpatent führte. Ich erlebte eine unglaublich offene, wohlwollende Atmosphäre mit einer Breite und Tiefe der Ausbildung, die es so heute wohl in der Juristenausbildung kaum mehr gibt. Dies liegt an der Kombination von fundierter Theorie und praktischer Tätigkeit während des Studiums, was etwa auch dazu führte, dass man gewisse Ordinarien nach der praktischen Ausbildung in der Vorbereitung zum Anwaltspatent «links liegen» lassen konnte. Meine Versuche, die Aus- und Weiterbildung an der Uni Basel für die Studierenden, welche das Anwaltspatent erwerben wollen, erheblich zu erweitern, sind an fehlender Bereitschaft der Fakultät (mangelnde freie Kapazität) wie auch der Advokatenkammer der Stadt gescheitert. Die Verhältnisse an der Uni Bern mit verschiedenen Angeboten zur Vorbereitung des Fürsprecherexamens erachte ich dagegen nach wie vor als ausgezeichnet.

Wo liegt Ihr Sehnsuchtsort?

Wenn ich mich mit Komponisten und ausführenden Musikern oder Autoren in andere Sphären entrücken lassen kann, ist das Sehnsuchtsziel erreicht. Auf einer Reise einen magischen Ort wie Conques (Frankreich) mit der romanischen Kirche inmitten eines perfekt erhaltenen Ensembles von Bauten oder die griechischen Tempel in Paestum (aufgrund der Corona-Pandemie beinahe ohne Touristen, wie einst vor über vierzig Jahren) besuchen zu können (und dies dank der Bahn bis nahe ans Ziel ohne erheblichen ökologischen Fussabdruck), erfüllt einen immer wieder. Entsprechend gibt es kein eigentliches Sehnsuchtsziel; man muss offen sein und sich immer wieder überraschen lassen.

Wie halten Sie Ihre Motivation im Job hoch?

Das ist relativ einfach: Sie müssen sich nur den Problemen der Steuerpflichtigen widmen, die vor Behörden und Gerichten zu Unrecht auflaufen, dann wissen Sie, wofür es sich als Anwalt und Wissenschafter zu kämpfen lohnt. Häufig aber lautet die Empfehlung einfach: zahlen. Es ist die immer wiederkehrende Erniedrigung der Bürger durch staatliche Institutionen, gegen die es anzutreten gilt. Leider bessert es kaum je, auch wenn wir in der Schweiz – verglichen mit vielen anderen Ländern – auf hohem Niveau klagen …

Welches Buch lesen Sie gerade?

Ich lese häufig mehrere Bücher parallel, derzeit sind dies: (i) Filip Müller, «Sonderbehandlung, Meine Jahre in den Krematorien und Gaskammern von Auschwitz», (ii) Ingo Müller, «Furchtbare Juristen, Die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz» (eine Aufarbeitung der Fehlleistungen unter Freisler im 3. Reich, lehrreich, weil Richter immer wieder politischen «Zwängen» folgen und nicht dem gesetzten Recht, – man denke in der Schweiz etwa an die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen) und (iii) – endlich gut für das Gemüt – das prachtvolle und äusserst kenntnisreich verfasste Werk über Cellinis Saliera (Kunsthistorisches Museum Wien; ein Höhepunkt der Renaissance-Goldschmiedekunst, basierend auf der griechischen Mythologie, kombiniert mit erotischen und zeitgenössischen Anspielungen).

Gibt es etwas, das Sie extrem nervt im Steuerrecht?

Die Ungleichbehandlung, weil sie elementar gegen den Gerechtigkeitsgedanken verstösst. Je komplexer das Steuerrecht wird, desto ungerechter wird das System in der Tendenz, gerade bei unseren in den meisten Kantonen sehr hohen Steuersätzen und der Reichtumssteuer direkte Bundessteuer. Statt einer breiten Bemessungsgrundlage mit tiefen Steuersätzen wählen die Parlamentarier leider das Gegenteil, um ihrer Klientel – vermeintlich – zu dienen. Ein Beispiel: Vor Jahren wurden Experten von der WAK-Ständerat zu einem Hearing eingeladen, wie es mit dem Steuersystem weitergehen soll. Eingeladen waren Vertreter der Steuerverwaltungen (ESTV/Kantone), der Revisionsbranche und der Wissenschaft (Juristen/Finanzwissenschafter). Alle Experten – mirabile dictu – waren sich einig: Unser System ist zu kompliziert, gerade auch im interkantonalen Verhältnis, man sollte die Bemessungsgrundlage breit und die Tarife tief halten. Ungerechtigkeiten sind nicht zu vermeiden, aber das System kann von vornherein nicht allen Lebenssachverhalten vollständig gerecht werden, also muss der Eingriff ins Portemonnaie möglichst schonend erfolgen, am besten zum biblischen Steuersatz des «Zehnten», meinem Traumsteuersatz. Leider sind wir weit davon entfernt, aber noch schlimmer: Das Ergebnis des halbtägigen Einsatzes mit nachfolgendem Stehlunch, an welchem wir nochmals eindringlich auf die Ständeräte «einprügelten», las ich am nächsten Tag in der Presse: Die WAK-SR beschloss einen grossen Weiterbildungskostenabzug, also eine weitere Bresche in die Bemessungsgrundlage, und damit das Gegenteil unserer einhelligen Empfehlung! Ebenso ärgere ich mich über die Ungleichbehandlung in der Verwaltungs- und Justizpraxis, etwa über die offensichtlich verzerrte Solothurner Eigenmietwertpraxis (Pauschale einerseits, Einzelbewertung andererseits; für die direkte Bundessteuer – und nur für diese – werden die Pauschalen um 25% erhöht!), oder wenn im Steuerstrafrecht von drei Verwaltungsräten, welche dieselben Bilanzen und Erfolgsrechnungen im vollen Wissen um deren Mängel unterzeichnet haben, nur einer wegen der falschen Urkunde verfolgt wird.

Lieber ein Gläschen Rotwein oder ein Bier?

Nach einer schweisstreibenden Bergwanderung gibt es nichts Besseres als ein frisch abgezapftes Bier. Zu einem gepflegten Essen, das kann auch einfach sein, gerne ein (lieber auch mehr …) erfrischendes Glas Weisswein oder ein perfekt gereifter Rotwein (Bordeaux oder Burgund, aber auch aus dem Wallis oder der Bündner Herrschaft), je nachdem, was passt oder gerade gelüstet. Einen passenden Vorrat anzulegen und zu pflegen bereitet Vorfreude – bekanntlich die schönste Freude –, die noch vermehrt wird, wenn man den Wein gemütlich im Freundeskreis teilt …