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Rezension: Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, II. Teil, Art. 49–101 DBG

Rezension: Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, II. Teil, Art. 49–101 DBG

Locher/Giger/Pedroli: Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, II. Teil, Art. 49–101 DBG

Stefan Oesterhelt

Stefan Oesterhelt

Rechtsanwalt, LL.M., dipl. Steuerexperte, Partner, Homburger AG, Zürich

Erschienen in folgender Publikation:

Rezension: Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, II. Teil, Art. 49–101 DBG
Ausgabe
Seite(n)
331-333

Peter Locher / Ernst Giger / Andrea Pedroli

Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, II. Teil, Art. 49–101 DBG

2022 (2. Auflage), 1085 Seiten

CHF 398.–

Helbing Lichtenhahn Verlag

Basel

Mehr Informationen unter cosmosverlag.ch

Fast zwanzig Jahre sind seit dem Erscheinen der ersten Auflage der Kommentierung der Art. 49–101 DBG durch Peter Locher ins Land gezogen – eine lange Zeit für dieses dynamische Rechtsgebiet. Seither wurden diese Gesetzesbestimmungen durch die Unternehmenssteuerreform II, die STAF (ehemals Unternehmenssteuerreform III) und die Quellensteuerreform grundlegend überarbeitet, was eine Neuauflage erforderlich machte. Während Peter Locher die Vorauflage (wie auch die beiden Geschwisterwerke zu Art. 1–48 DBG bzw. Art. 102–222 DBG) noch im Alleingang verfasst hat, übernahm bei der Neuauflage Ernst Giger die Kommentierung der Art. 57–59 und Art. 61–61b DBG und Andrea Pedroli die Bearbeitung der Bestimmungen zur Quellensteuer.

Das Werk zeichnet sich nicht zuletzt durch eine nahezu vollständige Widergabe der bundesrechtlichen Rechtsprechung aus und ist daher ein äusserst wertvolles Arbeitsinstrument für den Praktiker. Auch die Doktrin wird weitgehend verarbeitet. Die umfangreichen Quellenangaben bringen freilich zahlreiche, mitunter sehr lange Klammereinschübe mit sich, was der Übersichtlichkeit des Kommentars nicht immer zuträglich ist. Bei derart umfangreichen Quellenangaben würde sich die Verwendung von Fussnoten anbieten.

Selbstverständlich ist es unmöglich, die inhaltlichen Positionsbezüge dieses Grosskommentars auch nur ansatzweise zu würdigen. Die nachfolgende Auswahl – wie bei Rezensionen von Kommentaren üblich – ist daher rein arbiträr und rückt Stellungnahmen zu kürzlich ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung bzw. die seit der Vorauflage erfolgten Gesetzesänderungen in den Vordergrund.

Im vielbeachteten Urteil vom 1. Februar 2019 (2C_627/2017) kam das Bundesgericht zum Schluss, dass auch im interkantonalen Verhältnis nicht von einem Primat des statutarischen Sitzes einer juristischen Person auszugehen ist. Dieses Urteil hat den Erstautor bereits zu einer geharnischten Kritik in dieser Zeitschrift veranlasst.1 Obwohl dieses Verdikt mittlerweile im Leitentscheid BGE 146 II 111 bestätigt wurde,2 können ihm die Kommentatoren (im Gegensatz zum Rezensenten) immer noch wenig Positives abgewinnen.

Der Literaturmeinungsstreit, nach welcher Methode die Gewinne einer ausländischen Betriebsstätte auszuscheiden seien, wird ausführlich dargelegt. Die Kommentatoren tendieren (mit der jüngeren Lehre) zu einer objektmässigen Ausscheidung, ohne sich in dieser Frage aber definitiv festlegen zu wollen. Dabei sind sie in guter Gesellschaft, da auch das Bundesgericht in BGE 146 II 111 zur objektmässigen Ausscheidung tendiert, sich aber (noch) nicht definitiv festlegt.

Bei der Kommentierung von Art. 61 DBG konnte noch das Kreisschreiben Nr. 5a vom 1. Februar 2022 berücksichtigt werden, obwohl Stichtag für Berücksichtigung von Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich bereits der 1. Januar 2022 war. Diese Berücksichtigung in extremis führte unweigerlich dazu, dass eine eingehende Auseinandersetzung mit den zahlreichen Neuerungen in diesem Kreisschreiben ausgeblieben ist. Auch die im März 2022 erschienene 2. Auflage des Kommentars «Umstrukturierungen» konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Kommentierung zu Art. 61 DBG lehnt sich teilweise sehr eng an die zivilrechtlichen Tatbestände im FusG an. So werden beispielsweise die Ausgliederung i. S. v. Art. 61 Abs. 1 lit. d DBG, die Quasifusion wie auch die Konzernübertragung i. S. v. Art. 61 Abs. 3 DBG unter dem Titel der Vermögensübertragung i. S. v. Art. 69 FusG abgehandelt. Dadurch kann beim Leser der (unzutreffende) Eindruck erweckt werden, dass diese Umstrukturierungstatbestände nur bei einer Vermögensübertragung i. S. v. Art. 69 FusG angerufen werden können, was jedoch nicht der Fall ist und mittlerweile auch vom Bundesgericht anerkannt wird.3

Mit Bezug auf den Anwendungsbereich von Art. 61 Abs. 3 DBG stellen sich die Kommentatoren (m. E. zu Recht) auf den Standpunkt, dass hiervon auch eine Übertragung auf eine übrige juristische Person (z. B. eine Stiftung oder einen Verein) erfasst sei und dass der engere Gesetzeswortlaut auf dem Auslegungsweg zu korrigieren sei. Obwohl das Bundesgericht dieser Auffassung im BGE 138 II 557 vorfrageweise zugestimmt hat, hat sich die ESTV im Kreisschreiben Nr. 5a leider explizit gegen eine solche Auslegung ausgesprochen. Die Frage wird somit letztlich vom Bundesgericht zu entscheiden sein.

Die kontrovers diskutierten Rechtsfolgen des Forderungsverzichts des Anteilsinhabers werden nicht mehr bei der Kommentierung von Art. 60 DBG, sondern neu bei Art. 67 DBG dargestellt. Die Kommentatoren schliessen sich dabei der neueren Lehrmeinung an, dass eine Rechtsgrundlage für die Aufrechnung eines handelsrechtlich erfolgsneutral verbuchten Forderungsverzichts fehlt. Auch mit Bezug auf den erfolgswirksam verbuchten Forderungsverzicht können sie der diesbezüglichen Praxis der ESTV wenig abgewinnen und fordern (m. E. zu Recht) einen konsequenten Drittvergleich analog zur Praxis beim Forderungsverzicht durch eine Schwestergesellschaft.4 Da sich das Kreisschreiben Nr. 32 zurzeit in Überarbeitung befindet, wird die ESTV diesen Meinungsstreit in Bälde klären können.

Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II wurden in Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG neue Regeln zum Beteiligungsabzug bei Teilveräusserungen geschaffen. Die Kommentatoren verwerfen dabei – wie auch das Bundesgericht5 – die vom Rezensenten und von Robert Waldburger vertretene Auffassung, dass das Quotenkriterium von 10% konsequent im Sinne eines status- und nicht eines transaktionsbezogenen Tests zu verstehen ist. Demgegenüber teilen die Kommentatoren die Ansicht des Rezensenten, dass eine Veräusserung einer Beteiligung von mehr als 10% keine Voraussetzung dafür sei, dass nach Unterschreiten der Grenze von 10% der Beteiligungsabzug gestützt auf das Wertkriterium in Anspruch genommen werden kann und dass die gegenteilige Auffassung der ESTV6 nicht vom Wortlaut der Bestimmung gedeckt sei.

Die Revision des Rechts zur Quellenbesteuerung machte eine vollständige Überarbeitung der Art. 83–101 DBG erforderlich. Diese Aufgabe wurde vom Tessiner Appellationsrichter Andrea Pedroli, welcher die einschlägigen Artikel bereits im Commentaire Romand kommentiert hat, virtuos übernommen. Da das Tessin – neben dem «Arc Léman» und der «Regio Basiliensis» – viele Grenzgänger aufweist, kommt den Regeln zur Quellenbesteuerung nach Art. 91 ff. DBG im Tessin eine hohe Bedeutung zu, was auch zu einer vergleichsweise hohen Anzahl an italienischsprachigen Gerichtsentscheiden führt, welche im Werk eingehend dargestellt werden.

Insgesamt haben die Kommentatoren ein beeindruckendes Werk vorlegt, welches in jede steuerrechtliche Bibliothek gehört. In Umfang und Bearbeitungsdichte der Artikel entspricht die Kommentierung in etwa derjenigen der zwei Monate später erschienenen 4. Auflage des von Martin Zweifel und Michael Beusch herausgegeben DBG-Kommentars, wobei dieser auf ein weit grösseres Autorenkollektiv zurückgreifen konnte. Beide Werke haben ihre spezifischen Vorzüge, so dass der Erwerb des Kommentars Locher/Giger/Pedroli auch Besitzern des «roten» Kommentars nachdrücklich empfohlen sei.

Stefan Oesterhelt, Rechtsanwalt, LL.M., dipl. Steuerexperte, Homburger

Fussnoten

Peter Locher, Zum Hauptsteuerdomizil juristischer Personen, StR 2020, 270 ff.

In jüngeren (nicht amtlich publizierten) Urteilen wird teilweise wieder die alte Formel mit dem Primat des statutarischen Sitzes verwendet (vgl. z. B. BGer, 6.10.2021, 2C_24/2021, E. 4.2).

Vgl. BGer, 14.4.2021, 2C_564/2020, E. 4; anders noch BGer, 8.10.2018, 2C_503/2017, E. 5.

Ähnlich bereits die Vorauflage (damals Art. 60 N 25), was vom Rezensenten in seinem einschlägigen Beitrag in der StR 2020, 438 ff. Fn. 25 verkannt wurde und ihm seinerzeit (zu Recht) eine Rüge des Autors eingetragen hat.

BGer, 17.12.2021, 2C_950/2020.

Vgl. ESTV, KS Nr. 27 vom 17.12.2009, Ziff. 2.3.3.