Zum Inhalt springen

Nachruf – Marco Duss

Marco Duss’ Interessenspektrum war breit gefächert. Das Steuerrecht – besonders das Einkommens- und das Verrechnungssteuerrecht – betrieb er akribisch, profund, unter Rückgriff auf seine weiteren, breit gefächerten Interessen und gerne mit Humor, wovon die Titel seiner Aufsätze zeugen. Am 28. Februar 2023 nach langer, schwerer Krankheit verstorben, bleibt er als hervorragender Steuerrechtler und grosszügiger, gescheiter und verschmitzter Freund in Erinnerung. Ein Nachruf von Markus Reich.

Am 28. Februar 2023 hat uns Dr. iur. Marco Duss, Steuerexperte VSB, langjähriger Partner von ADB Altorfer Duss & Beilstein AG, nach langer, schwerer Krankheit für immer verlassen. Zumindest die älteren unter den Lesern und Leserinnen kannten Marco Duss als brillante Persönlichkeit und als hervorragenden Steuerrechtler. Grund genug, einen Augenblick innezuhalten und seiner zu gedenken.

Marco Duss, geboren am 31. August 1943, beendete sein Jus-Studium 1972 in Zürich mit einer vielbeachteten privatrechtlichen Dissertation über den Rangrücktritt des Gesellschaftsgläubigers bei Aktiengesellschaften. Zum Steuerrecht fand Marco – wie damals viele Berufskollegen und -kolleginnen – erst nach dem Studium. Es waren vor allem die Diskussionen mit seinem damaligen Vorgesetzten und späteren Partner, Dr. Werner Altorfer, die in ihm das Interesse am Steuerrecht weckten. Mit der ihm eigenen kritischen Akribie arbeitete er sich zu den steuerrechtlichen Fragenstellungen vor, besuchte Kurse und Seminare und vermochte so schon sehr bald, eigene Lösungsansätze zu entwickeln und das steuerrechtliche Schrifttum mit zahlreichen Stellungnahmen zu bereichern. Neben seiner äusserst erfolgreichen Tätigkeit im Schoss des renommierten Beratungsunternehmens ADB Altorfer Duss & Beilstein AG war er als nebenamtlicher Richter der Bundessteuer-Rekurskommission (heute «Steuerrekursgericht») des Kantons Zürich tätig. Auch stellte er sein Wissen und seine Erfahrung viele Jahre der Fachgruppe Steuern der Schweizerischen Treuhandkammer zur Verfügung (heute «Fachkommission Steuern» von EXPERTsuisse).

Ein Blick auf sein steuerrechtliches Schrifttum zeigt sein breitgefächertes Interessenspektrum. Er widmete sich nahezu allen Bereichen des Einkommenssteuerrechts und des Verrechnungssteuerrechts. Viele der von ihm gewählten Themen reizten ihn, weil er dort methodische Fehlleistungen vorfand, andere lagen im Brennpunkt seiner steuerberatenden Aktivitäten. So beschäftigten ihn die heiklen steuerrechtlichen Bruchstellen wie etwa die unterschiedliche Besteuerung von Kapitalgewinn und Kapitalertrag, die Transponierung, die Direktbegünstigtentheorie oder die Quasierwerbstätigkeit bei Wertschriftentransaktionen. Auch setzte er sich mit den Fragen der zeitlichen Bemessung, der Beteiligungsertragsbesteuerung oder den Steuerfolgen von Währungsdifferenzen aus der Umrechnung bei der Buchführung in Fremdwährung auseinander. Eine Pionierleistung vollbrachte er mit seiner profunden Studie über die interkantonalen und internationalen Aspekte der Unternehmensumstrukturierungen. In den Kommentaren zur Verrechnungssteuer, zum Steuerharmonisierungsgesetz und zum Gesetz über die direkte Bundessteuer nahm er sich ausgiebig zentraler Fragen der Steuerpflicht und der Steuerberechnung an. Und weil er der von ihm erwarteten Referententätigkeit bei der Ausbildung künftiger Steuerexperten wenig abgewinnen konnte, schrieb er kurzerhand einen Leitfaden zum steuerlichen Verfahrensrecht1, was seines Erachtens seine Referententätigkeit hinfällig werden liess.

Die Interessen von Marco Duss reichten weit über das Steuerrecht hinaus. Sein Wissensdurst war nicht zu stillen. Bücher waren seine steten Begleiter. Neben Belletristik verschlang er Werke der Mathematik, der Physik, der Philosophie oder der Hirnforschung und der Kybernetik. Seine Vorlieben lagen bei den Disziplinen Hermeneutik, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtsgeschichte. Er zerbrach sich den Kopf über den Nutzen des zwölften Kamels von Luhmann, verinnerlichte die Wittgenstein’sche Erkenntnis «die Welt ist alles, was der Fall ist» und beherzigte – stets den Gödel’schen Haken vor Augen – dessen Aufforderung, «steige immer von den kahlen Höhen der Gescheitheit in die grünenden Täler der Dummheit». Signifikant für seine spitze Feder und seinen gnadenlosen Sarkasmus las er einer Koryphäe unter den Rechtshistorikern die Leviten, weil dieser die Römischen Rechtsgeschichten von Marie Theres Fögen2 kritisch rezensiert hatte. Er warf dem Rezensenten u. a. vor, aus den Mommsen’schen Gräben der «rücksichtslosen Wahrheitsfindung» zu fechten, aus denen dieser zeitlebens nicht herausgefunden habe.3

Marco Duss war stets bestrebt, das Steuerrecht mit ausserhalb der tradierten Steuerlehre liegenden Überlegungen anzureichern. Er wandte sich gegen den in der Steuerfachgemeinde weit verbreiteten Pragmatismus und forderte vehement mehr Systematisierung und Dogmatisierung. Im Aufspüren von Widersprüchen und dogmatischen Unzulänglichkeiten war er ein wahrer Meister. Auch entlarvte er die Funktion der so oft heruntergeleierten Begründungsmuster der herkömmlichen Methodenlehre. Schon die Titel seiner Aufsätze versprechen intellektuelles Vergnügen. Hier drei Beispiele:

  • Prämissen – Präjudizien – Paradoxa. Vignetten zur Dichotomie Kapitalgewinn-Kapitalertrag4
  • Sprüche voller Widersprüche. Von Transponierungen, Seelenwanderungen eines Königs von Judäa, wunderbaren Gärten der Willkür, Gleis neundreiviertel und von Rabbi Eliezers Problem5
  • Kritik der vernünftigen Praxis6

Eine Würdigung des Schaffens von Marco Duss wäre unvollständig ohne einen schmunzelnden Seitenblick auf seine poetischen Elaborate. Das Dichten wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, sondern von Adolf Muschg, seinem Deutschlehrer in der Oberrealschule, eingepaukt und durch emsige Lektüre von Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Eugen Roth u. a. perfektioniert. Mit viel Schalk, Zynismus und blühender Phantasie gab er jeweils seine Verse, Aphorismen und Sprüche zum Besten – eben: über alles, was der Fall ist, aber auch über Unsinniges. Mit grossem Vergnügen stöbere ich noch immer in seinen – er nannte es – «Kladden», und sehe ihn vor mir, verschmitzt lächelnd, mit der Pfeife in der Hand, die Quintessenz der Würdigung einer ihm missliebigen Habilitation vortragend:

Das Buch ist dick, das Buch ist schwer

Doch leider gibt’s nichts Neues her.

Wenn ich eingangs geschrieben habe, Marco hätte uns am 28. Februar 2023 verlassen, trifft das im Grunde so nicht zu. Er ging schon früher, vor Jahren – nach und nach – fast unmerklich zog er die Türe hinter sich zu. Wir trafen uns seit den Achzigerjahren gewöhnlich am Mittwoch – in der Hochschulsportanlage Fluntern, wo wir im Adlisberger Wald joggenderweise unserer Fitness frönten, um hernach im Restaurant Outpost ausgiebig zu tafeln. Nachdem das Outpost der Zooerweiterung zum Opfer fiel, dislozierten wir ins Alte Klösterli. Das Joggen reduzierten wir mit den Jahren sukzessive, bis wir’s ganz eliminierten, was aber unserer Tafelrunde keinen Abbruch getan hat. Marco erschien regelmässig. Er war immer der Erste, wartete auf uns mit einem Buch in den Händen, einem Glas Wein auf dem Tisch und begrüsste uns freundlich lächelnd. An unseren Gesprächen nahm er jedoch in den letzten Jahren immer weniger teil, verstummte mehr und mehr, lachte immer seltener – bis er nach seinem 77. Geburtstag nicht mehr erschien.

Marco Duss hinterlässt eine klaffende Lücke. Wir werden ihn immer als überaus grosszügigen, blitzgescheiten und humorvollen Freund in bester Erinnerung behalten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Prof. em. Dr. iur. Markus Reich

Fussnoten

Verfahrensrecht in Steuersachen: Leitfaden zu Veranlagungs- und Rechtsmittelverfahren für Praxis und Ausbildung, Winterthur 1998.

Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002.

Forum Historie Iuris, 2003 (Internetzeitschrift).

Das schweizerische Steuerrecht. Eine Standortbestimmung, Festschrift für Ferdinand Zuppinger, Bern 1989, 149 ff.

Der Schweizer Treuhänder, 1–2/01, 79 ff.

Liber amicorum für Andreas Donatsch, Zürich 2012, 667 ff.