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Haben Sie schon einmal richtig Glück gehabt, Guido Jud?

Guido Jud beantwortet im Rendez-vous unsere – nicht unbedingt fachspezifischen – Fragen.

Name: Guido Jud

Beruf/Position: Leiter Steuerverwaltung des Kantons Zug

Familie: Verheiratet mit einer Juristin, die als wissenschaftliche Bibliothekarin in der Zentralbibliothek Zürich arbeitet. Eine Tochter (19) und ein Sohn (17)

Hobbys: Geschichtlich interessiert, Studentenverbindung

Warum wurden Sie Leiter der Zuger Steuerverwaltung? Was wären Sie sonst geworden?

Während meines BWL-Studiums an der HSG arbeitete ich bei Revisuisse Price Waterhouse in Zürich in der Wirtschaftsprüfung und wollte nach dem lic. oec. eigentlich dorthin zurück. Dann hat mich aber ein Jus-Zweitstudium gereizt, für dessen Finanzierung ich jedoch einen zeitlich kompatiblen Nebenjob brauchte. Das Kantonale Steueramt St. Gallen hatte damals gerade eine 50%-Stelle in der Abteilung juristische Personen offen, so bin ich im Steuerwesen gelandet. Letztlich verbrachte ich dort sieben interessante Jahre in drei Abteilungen, konnte bei tollen Vorgesetzten und Arbeitskolleginnen und -kollegen viel lernen und zudem die Steuerexpertenprüfung ablegen. Es folgten drei Jahre in einer grossen Anwaltskanzlei in Zürich und Washington, eine sehr lehrreiche Zeit, die es mir auch heute noch erleichtert, mich in die Überlegungen und Sachzwänge der Berater/innen einzufühlen, wenn ich Vorbescheide beurteile oder an Kundenbesprechungen teilnehme. In Zug konnte ich vor zwanzig Jahren als «Quasi-Ausländer» (St. Galler) die Leitung der Abteilung juristische Personen und nach drei weiteren Jahren die Gesamtleitung übernehmen.

Leben Sie für das Steuerrecht?

Nein, es gibt deutlich Wichtigeres im Leben. Aber ich freue mich über interessante steuerliche Fragestellungen – vor allem aus der Perspektive eines effizienten und kundenfreundlichen Vollzugs. Aktuell steht ja etwa die OECD-Mindeststeuer an, die uns in Zug stark beschäftigt. Mir war es immer wichtig, auch als Leiter der Steuerverwaltung fachlich tätig sein zu können und ein Bein im operativen Kundengeschäft zu behalten, mich also nicht ausschliesslich intern mit Administration, IT und Personellem zu befassen.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Im Berufsleben: «Man sieht sich immer zweimal.» Ich hatte in meinen rund dreissig Berufsjahren immer wieder mit den gleichen Personen zu tun, dabei haben die Rollen oft gewechselt: Vor fünfundzwanzig Jahren hatte ich als Steuerverwaltungsmitarbeiter vielleicht eine Besprechung mit jemandem, der damals Steuerberater war. Fünf Jahre später war es dann umgekehrt. Und wieder zehn Jahre später erneut umgekehrt. Und heute ist der andere vielleicht bei der ESTV, einer anderen kantonalen Steuerverwaltung, an einem Gericht oder als Steuerrechtsprofessor tätig und wir sitzen gemeinsam in gesamtschweizerischen Arbeitsgruppen. Diese Durchlässigkeit gehört zu den grossen Stärken im Schweizer Steuerwesen: Sie fördert das gegenseitige Verständnis und beruht nicht zuletzt auf gemeinsamen Weiterbildungen und den damit verbundenen Möglichkeiten zum «Socializing», vorzugsweise spätabends beim gemeinsamen Bier in der Hotelbar. Die wirklich interessanten Brancheninfos bekommt man nur dort. Und nie vor dem dritten Bier. Wer früher ins Bett geht, ist selber schuld.

Welche drei Stichworte beschreiben Ihren Alltag?

Es sind vor allem zwei: «zwischen unterschiedlichen Meinungen vermitteln» und «Verlässlichkeit und Konstanz fördern».

Als Vorgesetzter ist man oft Schiedsrichter bei unterschiedlichen fachlichen oder organisatorischen Meinungen, sowohl für interne Stellen wie auch bei externer Kundschaft. Dann gilt es, alle Seiten anzuhören und Lösungen vorzuschlagen, mit denen alle einigermassen leben können. Meist gelingt das recht gut, es gibt aber auch schwierige Fälle: Entgegen der Vermutung, dass sich ein Leiter einer Steuerverwaltung primär um besonders gute Steuerzahler – also etwa grosse internationale Unternehmen – kümmert, landen bei mir oft Zuschriften und Dossiers von Personen, die den Faden im Leben verloren haben. Oft begann ihre Negativspirale mit einem Jobverlust, Gesundheitsproblemen, einer schwierigen Ehescheidung oder einer Kombination davon. Statt die Ursache bei sich selber zu suchen, geben sie allen anderen und ganz besonders gerne «dem Staat» die Schuld, etwa, wenn ein Gericht bei der Kinderzuteilung oder in Unterhaltsfragen gegen sie entschieden hat. Und dann kommen wir als Steuerverwaltung geradezu als Verkörperung der staatlichen Unterdrückung und wollen jedes Jahr eine Steuererklärung und auch noch einen Obolus. Oft wurden auch jahrelang Verfahrenspflichten vernachlässigt und dadurch hohe Steuerschulden angehäuft. Solche Fälle wieder halbwegs auf eine gute Schiene zu bringen, ist nicht immer einfach.

Im Tagesgeschäft versuche ich zudem, auf eine verlässliche, einigermassen einheitliche Praxis unserer hundertfünfzig Mitarbeitenden hinzuwirken. Gefragt sind Kundenfreundlichkeit, Effizienz und pragmatische Lösungen, Letzteres ist dabei nicht zu verwechseln mit «in Zug geht alles». Gerade weil wir in Zug oft im politischen und medialen Rampenlicht stehen, sind wir sensibilisiert. Aber natürlich gibt es auch bei uns mit jährlich mehreren hunderttausend Veranlagungen und Rechnungen immer wieder Murphy-Fälle. Es gibt wohl keinen «Verfahrensmurks», den wir nicht schon hinbekommen hätten.

Was bringt Sie auf die Palme?

Das Beharren auf der angeblich «juristisch einzig richtigen Lösung», wenn auch andere, pragmatischere Lösungen vertretbar wären, die den Involvierten besser dienen würden.

Was tun Sie in Ihrer Freizeit? Haben Sie überhaupt welche?

Sicher habe ich Freizeit, schliesslich arbeite ich beim Staat. Ich interessiere mich für geschichtliche Themen und besuche gerne historisch interessante Orte. Vor allem Europa hat da ja enorm viel zu bieten. Oft begleitet mich mein siebzehnjähriger Sohn, wir machen dann «Männerferien». Meine Frau und meine Tochter haben eher etwas andere Interessen, die lassen wir dann lieber zuhause.

Wie sollte der Titel Ihrer Autobiografie lauten?

Schon das Mitwirken an diesem Rendez-vous-Beitrag kostete einiges an innerer Überzeugungsarbeit, da «Home Stories» nicht so mein Ding sind und ich lieber im Hintergrund bleibe. Daher ist das Risiko, dass von mir je eine Autobiografie erscheinen wird, knapp unter null.

Welches Buch lesen Sie gerade?

Ein Buch von Prof. Joseph Jung, dem ehemaligen Chefhistoriker der Credit Suisse, über die Zeit des Sonderbundskriegs und die Gründung des Bundesstaats in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Darin beschreiben er und weitere Autoren die damaligen Umstände aus politischer, wirtschaftlicher und militärischer Perspektive. In dieser bewegten Zeit wurden viele Weichen gestellt, die auch heute noch die moderne Schweiz prägen. Da wir uns auch privat kennen – er ist also nicht nur ein geschätzter Zuger Steuerkunde –, enthält mein Buch natürlich eine nette persönliche Widmung und ich konnte ihn jüngst auch für einen interessanten Vortrag dazu in Zug gewinnen.

Gibt es etwas, das Sie extrem nervt im Steuerbereich?

Medienanfragen, die darauf abzielen, mit einem steuerlichen Aufreger-Thema emotionale Debatten loszutreten oder das mediale Sommerloch zu überbrücken. Solche Anfragen verursachen bei Steuerverwaltungen oft grossen Aufwand, dabei geht es häufig nur darum, Aussagen selektiv zuzuspitzen und mit minimalem eigenem Aufwand möglichst hohe Klickzahlen («Reichweite») zu generieren.

Haben Sie schon einmal so richtig Glück gehabt? Was ist passiert?

Glück braucht man als Leiter einer Steuerverwaltung v. a. bei Informatik-Projekten, und zwar jede Menge davon. Wenn ein IT-System einer Steuerverwaltung nicht richtig funktioniert, schlägt das sofort auf zahlreiche Betroffene durch und es können hohe Kosten entstehen. Heftige Reaktionen aus der Bevölkerung, den Medien und der Politik wären gewiss. Wie jede Steuerverwaltung hatten auch wir in Zug schon Projekte in arger Schieflage. Wenn wir dann im letzten Moment die Kurve doch noch gekriegt haben, war das eigentlich schon nicht mehr nur Glück, sondern eher Magie: Es kam gut, und keiner wusste, warum.